Verlieren wir unser soziales Kapital? Carola Schaaf-Derichs kommentiert aktuell
Notiert von dokumentar ~ 10. November 2020 ~
Corona und kein Ende – viele Menschen gehen derzeit in eine andere innere Verfassung über, weil das Licht am Ende des Tunnels einer unwägbaren Pandemieerfahrung nicht in Sicht kommt, im Gegenteil. Was machen diese tagtäglichen Eindrücke des social distancing mit uns, wie reagieren die Engagierten auf diese Belastungen, wie die Menschen, deren Leben schon vor der Pandemie nicht einfach war und die unter Druck geraten, wirtschaftlich, familiär, sozial und individuell?
Was macht derzeit das Leben in einer „pulsierenden Großstadt“ aus, wenn der Puls in ungeahnte Tiefststände abrutscht? Wenn das öffentliche Leben und der persönliche Austausch zwischen den vielen interessierten und interessanten Menschen in Berlin nicht mehr Attraktionspunkt und Highlight, sondern vielmehr gemieden und immer mehr eingeschränkt respektive digitalisiert werden muss? Was können, was müssen wir jetzt als Agenda für eine solidarische Gesellschaft setzen?
Soziales Kapital droht zu schwinden
Die “reduzierte Stadt“, wie Kai Müller im Tagesspiegel vom 24. Oktober1 titelt, läßt das soziale Kapital schwinden, so äußert er seine Beobachtungen. Das besondere Maß an Begegnung mit Fremden und der Diskurs über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, was gerade die Polis schon in der Antike ausgemacht und unsere Zivilisation geprägt hat, ist in Gefahr zu schwinden. „Die Ausgestaltung der Zukunft, die nicht wirklich planbar ist, lebt von dem Diskurs, der über sie entsteht“ so folgert Müller. Und er macht eindringlich darauf aufmerksam, dass die „…Stadt (…) nur noch Kulisse eines sozialen Zusammenhalts, der sich im Internet organisiert“ werden könnte.
Was wir für unsere Zukunftskonstruktion – und somit auch für eine Perspektive in der Krise – brauchen, sind Begegnungen inklusive des Bewusstseins der Differenz sowie das Vertrauen, das gerade auch aus dem Aufeinandertreffen von Fremden entsteht. Dies sind wesentliche Merkmale für Demokratie, sagt Talja Blokland, Direktorin des Georg Simmel Zentrums für Metropolenforschung an der Humboldt Universität von Berlin, die mehrere Studien in diesem Gebiet unternommen hat.2
Sprechfähig werden und Vertretungsmacht bilden
Auch in der Untersuchung des MAECENATA Instituts zur Nutzung der Rettungsschirme im Dritten Sektor3 wird auf die besondere Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Sektors in der Krise hingewiesen. Zum Handlungsrahmen der Zivilgesellschaft folgert diese Studie:
“1. Die Zivilgesellschaft selbst muss lernen, ihre Potenziale, Herausforderungen und Bedarfe offensiver und stringenter darzustellen und an die Politik zu kommunizieren. Deshalb sollte der bisher nicht verbandlich verfasste Teil der Zivilgesellschaft erwägen, verstärkt Zusammenschlüsse oder Koalitionen zu bilden, um sprechfähige und mit Vertretungsmacht aus-gestattete Gesprächspartner und ‑partnerinnen gegenüber staatlichen Stellen zu haben. (…)
5. Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind bei weitem noch nicht in vollem Umfang absehbar. Aber klar ist schon heute, dass es eine Rückkehr zum status quo ante nicht geben wird. Dies betrifft auch die Zivilgesellschaft, die es nun zu unterstützen gilt.”
Wir finden diesen Blick auf die aktuelle Situation zutreffend als auch herausfordernd im positiven Sinne! Unsere Agenda haben wir bereits mit Zukunfts- und Selbstverantwortungsthemen gut gefüllt! Was es jetzt braucht, ist den Mut, Neues zu wagen und trotzdem das Wichtigste zu wahren und zu beleben, was uns trägt: unsere gute Vernetzung und unseren Austausch und Diskurs!
Editorial von Carola Schaaf-Derichs im
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aktualisiert 26.06.2021