Von unbewohnbaren Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind
Notiert von jor ~ 1. Dezember 2014 ~
Die Aufmerksamkeit – setzte Sylke van Dyk 2013 den Ankerpunkt für ihre Antwort auf die Frage nach der aktuellen Figur der sogenannt guten Gesellschaft1, richte sich für sie auf zwei Gruppen, die in ganz unterschiedlicher Weise nicht zur “Mitte” der fordistischen Gesellschaft zählten und gerade deshalb die flexibilisierten Grenzziehungen der Gegenwartsgesellschaft exemplarisch sichtbar werden lassen: Menschen höheren Lebensalters und Menschen mit Migrationshintergrund.
Wo ‘junge Alte’ und bestimmte Migrantinnen und Migranten in neuer Weise als soziale Personen adressiert werden, sind es die Hochaltrigen und Pflegebedürftigen, die Illegalisierten, Geduldeten und Flüchtlinge im Asylverfahren, die in den “ ‘‚unbewohnbaren’ Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind” (Buttler), (über-) leben. (15)
Über andere Formen sozialer Benachteiligung hinaus und ihre Vielschichtigkeit
So geht der Angriff auf die körperliche Integrität von Hochaltrigen (durch Vernachlässigung und „Fesselung“ in Pflegeheimen2) und Flüchtlingen (durch die Verweigerung medizinischer Versorgung3 oder durch die Abschiebung in Staaten, in denen Tod, Hunger oder Folter drohen4) in seiner dehumanisierenden Radikalität über andere Formen sozialer Benachteiligung hinaus. Während in den erweiterten Normalitätszonen adressiert, aktiviert und mobilisiert wird, Flexibilität und Eigenverantwortung groß geschrieben werden, herrschen außerhalb dieser Zonen andere Gesetze: Deaktivierung und Demobilisierung, Fixierung und Verzicht auf Rehabilitation, „Entantwortung“ und Infantilisierung – das ist der Alltag derjenigen, die nicht als soziale Personen angesprochen werden. (20)
Zugleich verbietet sich jede Homogenisierung der “Verworfenen”, sind doch die dicht bevölkerten, “‚unbewohnbaren‘ Zonen des sozialen Lebens” in hohem Maße vielschichtig, wie die aufeinander verwiesenen Lebenslagen von pflegebedürftigen Hochaltrigen und migrantischen Haushaltshilfen zeigen. (20)
Aufgelesen | Zuerst veröffentlicht als: Unter der Woche zitiert: In guter Gesellschaft? Von unbewohnbaren Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind. auf www.engagementwerkstatt.de, 22.07.2014, aktualisiert 06.01.2015
- van Dyk, Sylke: In guter Gesellschaft? Wandel in den Randzonen des Sozialen.↵ In: Aus Politik und Zeitgeschichte (Hrsg. Bundeszentrale für Politische Bildung), (13–14)2013, 14–20 ↩
- Anm. jor: Vgl. dazu die Dissertation von Susanne Moritz: Staatliche Schutzpflichten gegenüber pflegebedürftigen Menschen↵ aus dem letzten Jahr und die öffentliche Diskussion darüber, hier laufend dokumentiert: Universität Regensburg. Dr. Susanne Moritz↵ ↩
- Anm. jor: Vgl. etwa zum Referentenentwurf des Asylbewerberleistungsgesetzes die Stellungnahme der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW): Uneingeschränkten Zugang zur medizinischen Versorgung gewähren. Referentenentwurf des Asylbewerberleistungsgesetzes↵, 22.07.2014 – und 2013 bereits: Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer „Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten mit Migrationshintergrund“.↵ ↩
- Anm. jor: Zum „Ketten-refoulement“ im Ergebnis der Anwendung des Konzeptes “Sicherer Drittstaat” schon 2001 der Hochkommissär der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge: Die Anwendung des Konzepts „sicheres Drittland“ und seine Auswirkungen auf den Umgang mit Massenfluchtbewegungen und auf den Flüchtlingsschutz.↵ ↩