Engagement ist ein Recht, keine Pflicht. Erinnerung an Michael Bürsch

Dr. Michael Bürsch  am 24.09.2012 in der Kalkscheune

Dr. Mi­cha­el Bürsch am 24.09.2012 in der Kalkscheune

Am 9. De­zem­ber 2012 ist Dr. Mi­cha­el Bürsch, sei­ner­zeit Vor­sit­zen­der der En­­­quete-Kom­­mis­­si­on „Zu­kunft des Bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ments“ und dann läng­jäh­rig bis 2009 des Un­ter­aus­schus­ses Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment im Deut­schen Bun­des­tag, im Al­ter von sieb­zig Jah­ren gestorben.

Noch im Sep­tem­ber hat­te Dr. Mi­cha­el Bürsch an­läss­lich der Er­öff­nung der 8. Wo­che des Bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ments in der Ber­li­ner Kalk­scheu­ne für sein en­ga­ge­ment­po­li­ti­sches Le­bens­werk den “En­ga­ge­ment­wür­fel” er­hal­ten und ste­hen­de Ova­tio­nen ge­ern­tet. Er blick­te wie im­mer en­ga­giert zu­rück – und nach vorn: Dr. Mi­cha­el Bürsch “En­ga­ge­ment ist ein Recht, kei­ne Pflicht” am 24. Sep­tem­ber 2012 in der Kalkscheune:

Und vor we­ni­gen Wo­chen hat­te er im Ge­spräch mit Anett Ba­ron in der ➟ Ber­li­ner Wo­che en­ga­giert und deut­lich ei­ne Wen­de in der herr­schen­den En­ga­ge­ment­po­li­tik mit ih­rer frei­wil­li­gem und eh­ren­amt­li­chen En­ga­ge­ment ab­träg­li­chen Be­to­nung von so ge­nann­ten Bür­ger­pflich­ten gefordert:

Ent­schei­den­des Ele­ment beim bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ment ist die Frei­wil­lig­keit, al­les an­de­re ist kon­tra­pro­duk­tiv. Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment ist ein Bür­ger­recht, kei­ne Pflicht. Mit der neu­en De­fi­ni­ti­on be­kommt das The­ma ei­nen ideo­lo­gi­schen Zu­gang, der nicht för­der­lich ist. Soll­te sich die­se Be­trach­tung durch­set­zen, wer­den die 23 Mil­lio­nen der­zeit En­ga­gier­ten die Frei­wil­lig­keit ih­res Tuns und die Mo­ti­va­ti­on zum En­ga­ge­ment in­fra­ge ge­stellt se­hen. … Wir brau­chen ei­ne se­riö­se För­de­rung der Bür­ger­be­tei­li­gung. Bür­ger wol­len zum Bei­spiel nicht nur über In­fra­struk­tur­maß­nah­men im In­ter­net in­for­miert wer­den, son­dern Teil der Ent­wick­lungs­pro­zes­se sein. Bür­ger sind nicht Zu­schau­er, son­dern Teil­neh­mer. Hier kön­nen Kom­mu­nen wie Un­ter­neh­men Ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten an­bie­ten und Dis­kus­sio­nen er­mög­li­chen. Auch müss­ten die Lan­des- und Kom­mu­nal­ebe­ne bei der En­ga­ge­ment­po­li­tik bes­ser mit der Bun­des­ebe­ne ver­knüpft werden.

Dr. Ser­ge Em­ba­cher er­in­nert jetzt in sei­nem Nach­ruf für das Bun­des­netz­werk Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment:

Am 9. De­zem­ber 2012 ist Mi­cha­el Bürsch nach schwe­rer Krank­heit ver­stor­ben. Sein Tod reißt ei­ne Lü­cke, die nur schwer zu fül­len sein wird. Er war ein ho­mo po­li­ti­cus, ei­ner, dem der Zu­stand des de­mo­kra­ti­schen Ge­mein­we­sens zur Her­zens­an­ge­le­gen­heit ge­wor­den war. Ich ha­be ihn im Deut­schen Bun­des­tag ken­nen ge­lernt, kurz nach­dem der Ab­schluss­be­richt der En­quete-Kom­mis­si­on zur Zu­kunft des bür­ger­schaft­li­chen En­ga­ge­ments in Deutsch­land vor­lag – je­ner En­quete, die dem BBE zu sei­ner Exis­tenz ver­half. Mi­cha­el Bürsch war ihr Vor­sit­zen­der, und es war nicht zu­letzt die Art und Wei­se, wie er die­se Auf­ga­be aus­ge­stal­te­te, die da­zu führ­te, dass die En­quete-Kom­mis­si­on zu ei­ner der er­folg­reichs­ten in der Ge­schich­te des Bun­des­ta­ges wer­den konn­te – ei­ne En­quete, die bis heu­te die Agen­da der En­ga­ge­ment­po­li­tik de­fi­niert. Ih­re Sit­zun­gen ent­spra­chen stets sei­ner Vor­stel­lung von Füh­rung: fair, strin­gent, ef­fi­zi­ent, er­geb­nis­ori­en­tiert und von ei­nem un­ter­grün­di­gen Hu­mor ge­tra­gen, der je­der­zeit an­satz­los und tro­cken »zu­schla­gen« konn­te.
 
Ge­bo­ren wur­de er am 3. Ju­ni 1942 in Stet­tin, doch auf­ge­wach­sen ist er in Schles­wig-Hol­stein, dem Land, von dem aus er sei­ne be­ruf­li­che Lauf­bahn be­gann. Nach Stu­di­um und Pro­mo­ti­on in Ju­ra in Kiel kam Mi­cha­el Bürsch zur Bun­des­ver­wal­tung, wo er un­ter an­de­rem Sta­tio­nen im Bun­des­pres­se­amt und bei den Ver­ein­ten Na­tio­nen in New York ab­sol­vier­te. Be­son­ders ge­prägt hat ihn die Zeit im Bü­ro von Ex-Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt oder auch die als Staats­se­kre­tär un­ter dem da­ma­li­gen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten von Schles­wig-Hol­stein, Björn Eng­holm. Als er 1997 als Nach­rü­cker erst­mals in den Bun­des­tag ein­zog, mach­te er sich dort schnell ei­nen Na­men als ver­sier­ter In­nen­po­li­ti­ker, der als ei­ner der ers­ten die Be­deu­tung des The­mas Zu­wan­de­rung und In­te­gra­ti­on er­kann­te. Doch das wich­tigs­te The­ma sei­nes Le­bens be­geg­ne­te ihm erst im Par­la­ment in Ber­lin: Dass der Ab­schluss­be­richt der En­quete-Kom­mis­si­on am 3. Ju­ni 2002, sei­nem 60. Ge­burts­tag, von ihm der Öf­fent­lich­keit vor­ge­stellt wur­de, war ihm ein be­son­de­res Ver­gnü­gen und er­füll­te ihn auch ein we­nig mit Stolz.
 
Die fol­gen­den zehn Jah­re – er­schüt­ternd nun zu wis­sen, dass es die letz­ten zehn ge­we­sen sind – wid­me­te Mi­cha­el Bürsch zu ei­nem gro­ßen Teil der Ent­wick­lung der Bür­ger­ge­sell­schaft. Da­bei war ihm be­son­ders wich­tig, was bis heu­te nicht in al­len Köp­fen an­ge­kom­men ist, näm­lich die Er­kennt­nis, dass En­ga­ge­ment­po­li­tik sinn­vol­ler­wei­se nur als De­mo­kra­tie­po­li­tik ver­stan­den wer­den kann. Das »Leit­bild Bür­ger­ge­sell­schaft«, dass er in der En­quete ge­mein­sam mit den Sach­ver­stän­di­gen und den an­de­ren be­tei­lig­ten Ab­ge­ord­ne­ten de­fi­nier­te, rückt das bür­ger­schaft­li­che En­ga­ge­ment als ei­nen ge­nu­in de­mo­kra­ti­schen Hand­lungs­mo­dus ins Zen­trum von Po­li­tik. Sicht­ba­re Zei­chen da­für sind die Ein­rich­tung des Un­ter­aus­schus­ses Bür­ger­schaft­li­ches En­ga­ge­ment im Bun­des­tag, des­sen Vor­sit­zen­der Mi­cha­el Bürsch von 2002 bis 2009 war, so­wie die Grün­dung des BBE, des­sen Auf­trag, als bun­des­po­li­ti­sche Kom­pe­tenz- und Wis­sens­platt­form den Dis­kurs der Bür­ger­ge­sell­schaft zu or­ga­ni­sie­ren und mit en­ga­ge­ment­po­li­ti­schen Im­pul­sen zu ver­se­hen, bis heu­te ak­tu­ell ist. Im BBE war Mi­cha­el Bürsch von der ers­ten Stun­de an ak­tiv. Als Grün­dungs­mit­glied war er im­mer dar­auf be­dacht, die Ent­wick­lung mit vor­an­zu­trei­ben. Da­bei war er oft un­duld­sam, der Fort­schritt kam ihm bis­wei­len wie ei­ne Schne­cke vor, der man »auf die Sprün­ge« hel­fen muss, was er in vie­len kri­ti­schen, aber stets mit kon­kre­ten Vor­schlä­gen ver­se­he­nen Kom­men­ta­ren un­ter Be­weis stell­te.
 
Ei­ne wei­te­re Fol­ge der En­quete-Kom­mis­si­on war die Grün­dung des Ar­beits­krei­ses Bür­ger­ge­sell­schaft und ak­ti­vie­ren­der Staat bei der Fried­rich-Ebert-Stif­tung, den Mi­cha­el Bürsch zehn Jah­re lang lei­te­te und der nun die Auf­ga­be hat, die Ideen und Im­pul­se von Mi­cha­el Bürsch oh­ne Mi­cha­el Bürsch wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Das wird nicht leicht wer­den, weil uns vor al­lem die Pro­fes­sio­na­li­tät und Er­fah­rung feh­len wird, mit der er den Ar­beits­kreis mo­de­rier­te und lei­te­te. Wenn es über­haupt je­mals ei­nen Po­li­ti­ker gab, auf den die At­tri­bu­te Lei­den­schaft und Au­gen­maß zu­tra­fen, dann war es Mi­cha­el Bürsch. Sei­ne Be­geis­te­rung für die Sa­che der Bür­ger­ge­sell­schaft war hoch­gra­dig an­ste­ckend, und auch ich wer­de wohl für den Rest mei­nes Schaf­fens da­von »in­fi­ziert« sein. Was uns feh­len wird, ist sein Blick für das Mach­ba­re, aber auch das In­sis­tie­ren, die Hart­nä­ckig­keit, mit der er ei­ne ein­mal als rich­tig er­kann­te Sa­che ver­fol­gen konn­te. Ich ha­be bis­lang nur we­ni­ge Men­schen ken­nen­ge­lernt, die so über­zeu­gungs­fest und un­be­irrt ein Her­zens­an­lie­gen ver­fol­gen kön­nen wie Mi­cha­el Bürsch das konn­te. Er war und ist mir ein Vor­bild, ich wer­de ihn nicht ver­ges­sen. Stär­ker als er war nur der Krebs, der ihn am En­de be­siegt hat.
 
»Mis­ter Bür­ger­ge­sell­schaft« ist tot, es le­be die Bürgergesellschaft!

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Sei­ner­zeit er­schie­nen auf www​.die​-hilfs​be​reit​schaft​.de, über­tra­gen und ak­tua­li­siert 28.08.2016 | Fo­to: Jo Rodejohann